Palimpsest Usbekistan. Studierende des Departments Geschichte in Zentralasien
16 Vertreter:innen der FAU – darunter Studierende, Wissenschaftler und der Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Geschichtswissenschaft an der FAU – reisten Ende September 2024 für eine Woche nach Usbekistan. Der Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte mit Schwerpunkt Osteuropa befasst sich schon seit vielen Jahren mit der Geschichte Zentralasiens. Usbekistan war eines der Forschungsgebiete der im Oktober 2023 verstorbenen Lehrstuhlinhaberin Julia Obertreis. Sie selbst hatte die Exkursion nach Usbekistan angeregt, die Reise dann aber aufgrund ihrer Krankheit mehrfach verschoben. Auch im Gedenken an Julia Obertreis fand die Exkursion nun statt.
Es war eine intensive Reise mit zahlreichen Eindrücken, angefangen vom Besuch eines traditionellen usbekischen Stadtviertels – einer so genannten Mahallah – über eine lange Fahrt mit dem Nachtzug, bis hin zum Besuch der architektonischen und historischen Denkmäler von Taschkent, Buchara und Samarkand. Angeleitet und durchgeführt wurde die Reise von Moritz Florin in Kooperation mit zahlreichen Partnern vor Ort.
Buchara
Auf unserer Exkursion wurde die Oasen-Stadt Buchara als ein historisches Palimpsest sicht- und erfahrbar, eine historische Schicht überlagert die andere: Die vorchristlichen Zeugnisse des Zoroastrismus wurden überbaut durch persische, arabisch-islamische, türkische und russisch-sowjetische Hinterlassenschaften. Moscheen befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Synagogen und einem großen jüdischen Friedhof. Neben dem einstigen Palast des Emirs wurde in sowjetischer Zeit der so genannte Schuchow-Turm, ein modernistisch anmutender Wasserturm in Hyperboloidform, errichtet. Die einstigen Karawansereien zeugen von der Funktion der Stadt als Warenumschlagsplatz auf der so genannten Seidenstraße. Unserem Stadtführer, dem Germanisten Dilshod Abdulkayrov, gelang es, die zahlreichen Facetten der Stadtgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart anschaulich zu machen.
Samarkand
In Samarkand begegnete die Gruppe zunächst dem Lokalhistoriker Dmitrij Kostjuschkin, der ihnen den kolonialen Teil der Stadt zeigte. Dieser ist als UNESCO-Welterbe geschützt, doch vergleichsweise wenige Touristen scheinen sich dafür zu interessieren. Eine orthodoxe, eine armenische und eine katholische Kirche sowie die Synagogen verwiesen auf die vergangene und gegenwärtige religiöse und ethnische Vielfalt Samarkands. Während zahlreiche Gebäude hervorragend restauriert wurden, werden andere Baudenkmäler dem Verfall preisgegeben.
Am zweiten Tag dann besuchten wir den islamisch geprägten Teil der Stadt und damit jene Orte, die jährlich Hunderttausende Touristen nach Samarkand locken, darunter das Gur-Emir Mausoleum, die prachtvollen Medresen am zentralen Platz, dem Registan, sowie das wiedererrichtete Ulugbeg-Observatorium am Rande der Stadt. Begleitet wurde die Gruppe von einer Dozentin der privaten Kimyo-Universität in Taschkent, Iroda Shamsieva, sowie einer Gruppe von Studierenden aus Samarkand. Unterwegs ergaben sich zahlreiche Gespräche zu Geschichte und Gegenwart der Region, sowie zur aktuellen Geschichtspolitik in Usbekistan.
Taschkent
Zurück in Taschkent wurde die Gruppe zunächst in der Mirzo-Ulugbek-Nationaluniversität empfangen. In der historischen Fakultät begegnete die Gruppe den Dozierenden, sie wurde durch die archäologische Sammlung geführt und kam mit Studierenden ins Gespräch. Moritz Florin, Klaus Dyroff und Maria Parkhomenko trafen sich zudem mit dem Dekan der Historischen Fakultät, Alisher Muminov, sowie der Vizedirektorin der Universität, Raima Shirinova, um über mögliche Kooperationen, etwa im Bereich der digitalen Geschichte oder der Erforschung des Stalinismus, zu sprechen.
Im Anschluss an den herzlichen Empfang in der Nationaluniversität führte ein langjähriger Freund des Erlanger Lehrstuhls, der Historiker Oybek Makhmudov, die Gruppe durch das Zentrum Taschkents. Dabei diskutierte die Gruppe über den Abriss, die Umgestaltung oder die Restauration von Baudenkmälern aus sowjetischer Zeit sowie über die zentralen Gedenkorte für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs in Usbekistan.
Am letzten Tag schließlich wurde die Gruppe im usbekischen Nationalarchiv empfangen. Dort wurden ihnen Dokumente aus den Sondersammlungen zur Geschichte des Emirats von Buchara sowie des Generalgouvernements Turkestan, zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des unabhängigen Usbekistan gezeigt. Die Gruppe bekam zudem Einblicke in die Funktionsweise und Systematik des Archivs sowie in die umfassende Arbeit zur Konservierung und Digitalisierung der Bestände. Während Moritz Florin sich im Anschluss an der Kimyo-Universität erneut mit Iroda Shamsieva traf, besuchten die Studierenden den zentralen Chorsu-Basar von Taschkent, auch um Geschenke und Souvenirs zu besorgen. Am späteren Nachmittag folgten noch der Besuch der Museums der Repressionen, des Fernsehturms als zentrales Baudenkmal der sowjetischen Zeit sowie des Platzes der Völkerfreundschaft mit dem zentralen Denkmal, das auf die Hilfsbereitschaft usbekischer Familien verweist, die während des Zweiten Weltkriegs hunderte Waisenkinder in ihre Familien aufnahmen.
Erfahrungen
Die Exkursion konzentrierte sich auf die historischen Orte und Gedenkstätten, doch auch den usbekischen Alltag erlebten die Studierenden immer wieder hautnah, etwa bei den zahlreichen Fahrten mit der der U-Bahn, dem Nachtzug, dem Bus oder dem Taxi sowie auch in den Hostels, darunter eines in den Räumen einer ehemaligen Medrese in Buchara. Nicht zuletzt die gemeinsamen Abend- und Mittagessen wurden zum Bestandteil eines Programms, das immer wieder die kulturelle Diversität Zentralasiens und Usbekistans in den Fokus rückte, auf dem Speiseplan standen usbekischer Plow und Manty – beides auch in vegetarischer und veganer Version – ebenso wie georgisches Chatschapuri und Chinkali und der dazugehörige Wein, (Gemüse) schaschlik oder ukrainischer Borschtsch.
Ergebnisse und weitere Vorhaben
Ein zentrales Thema der Exkursion war die Frage nach der Kolonialität russischer und sowjetischer Herrschaft. Vor Ort jedoch zeigte sich zudem, wie zentral kulturelle und religiöse Vielfalt für das staatliche und das kulturelle Selbstverständnis bleiben. Allerorten begegneten uns Museen und Denkmäler für die Völkerfreundschaft, unsere Gastgeber betonten regelmäßig, dass auch wir im Geiste der Freundschaft zwischen dem usbekischen und dem deutschen „Volk“ empfangen würden. Die Geschichte der Deutschen in Usbekistan – darunter Reisende, Siedler, Deportierte und Kriegsgefangene – wurde regelmäßig zum Gegenstand unserer Gespräche mit den usbekischen Partnern. Bemerkenswert war dabei, wie sehr die sowjetische Vorstellung von Ethnizität als unhintergehbares, primordiales Identitätsmerkmal den Umgang mit Vielfalt in Usbekistan weiterhin prägen. Die Studierenden bemerkten zudem, dass der Umgang mit extrem verarmten Randgruppen wie den Muğat oder Lyuli in einem Spannungsverhältnis zu der Erzählung von der „Großen Freundschaft“ steht.
Insgesamt jedoch waren wir von der Gastfreundschaft überwältigt. Die Studierenden lernten Usbekistan als ein Land kennen, das durch die Baudenkmäler der islamischen Zeit, aber auch durch die historische Überlappung und Überlagerung von Einflüssen aus ganz Eurasien geprägt und geformt wurde. Bedanken möchten wir uns bei allen, die diese Reise ermöglicht haben: Bei der Philosophischen Fakultät und bei dem Förderverein für die Geschichtswissenschaft an der FAU sowie bei der von Coll-Stiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung, bei unserer Lehrstuhlmitarbeiterin, Dinara Gagarina, für die Vorbereitung und für das Anbahnen von Kontakten, sowie bei allen usbekischen Partnern für die uns entgegengebrachte Gastfreundschaft. Besonders bedanken möchten wir uns bei unserer Kollegin Nodira Mustafayeva, die unsere gesamte Reisegruppe in ihrem eigenen Zuhause empfing und reichhaltig mit Plow, Salaten, Schaschlik und Wassermelone bewirtete. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit allen Kolleginnen und Kollegen, die wir kennenlernen durften, und auf weitere Reisen in die Region.
Moritz Florin, 9. Oktober 2024
Ein Exkursionsbericht aus Sicht der Studierenden folgt.